Mit dem Boot um Rügen

Reisebeschreibung von Joachim Sembach

Es ist bereits meine zweite Reise mit meinem Spitzgattboot zur Ostsee. Und wie schon beim ersten Mal schreibe ich auf meinen Fahrten die Erlebnisse auf. Natürlich besteht die Gefahr sich zu wiederholen, aber ich denke jede Fahrt und jeder Tag unterscheidet sich in seinem Verlauf. Und so liegt die Gefahr wohl eher darin sich in seiner Wortwahl zu wiederholen.

Auch diesmal soll mein Ziel die Insel Rügen sein. Und wenn das Wetter mitspielt, werde ich bei Barhöft in den Darss hineinfahren. der für viele Ostsee – Urlauber in seiner Beliebtheit ganz oben an steht.

Später auf meiner Rückfahrt werde ich westlich Hiddensee passieren, Kap Arkona umfahren und über Saßnitz zu meinem Ausgangspunkt, dem Greifswalder Bodden, zurückkommen.

Sechs Wochen habe ich für die Reise eingeplant. Doris wird einen Tag später am Lehnitzsee an Bord kommen und wird mich die ersten zwei Wochen begleiten. Irgendwo wird sie dann aussteigen und mit der Eisenbahn nach Hause fahren.

Den Tag meiner Abreise kann ich kaum erwarten und deshalb beginne ich mit den Vorbereitungen bereits 14 Tage vor meiner Abfahrt. Getränke, Lebensmittel, Seekarten und viele andere nützliche Sachen müssen verstaut werden. An jedem Tag fallen mir neue Dinge ein, die ich mitnehmen sollte. Aber bei einem 7,20 m Boot ist der Platz an Bord begrenzt und deshalb müssen viele Sachen zu Hause bleiben.

Nachdem ich alles verstaut habe, bekomme ich den Eindruck, dass ich einiges bei dem durcheinander nicht wiederfinden werde. Aber da an Bord jeder Gegenstand seinen festen Platz hat, werde ich mich irgendwann an das scheinbare Durcheinander gewöhnt haben und nicht mehr suchen müssen.

Meine Checkliste habe ich einen Tag vor meiner Abreise abgearbeitet. Nun kommen Zweifel auf, habe ich nicht doch etwas vergessen? Oder, wie wird das Wetter? Sind die richtigen Sachen zum Anziehen an Bord? Aber da ich keine Weltreise vorhabe, kann ich mir bestimmt das Eine oder das Andere nicht bedachte unterwegs kaufen.

1.Tag: Freitag, 05.07.2002

Nach vielen Regentagen scheint heute Morgen endlich wieder die Sonne. Auch die Leute vom Wetterdienst müssen das bemerkt haben, denn die versprechen für die nächsten Tage sommerliches Wetter. Also, genau das richtige Wetter für meine Abreise.

Um 11.00 Uhr bin ich mit den letzten Vorbereitungen an Bord fertig und mache die Leinen los. Der Motor-Stundenzähler steht bei 397 Stunden und das Navigationsgerät – GPS habe ich auf null Kilometer zurückgestellt. Meine Persenning ist an allen Seiten offen und durch mein Heckfenster verabschiedet sich der Wannsee in einem freundlichen Licht, als ich in die Havel in Richtung Spandau einlaufe.

An der Charlottenburger Schleuse lohnt sich kaum das Festmachen. Die erste Schleuse auf meinen Weg zur Ostsee habe ich als einziges Boot in der Kammer schnell hinter mir. Mit 10,5 Stundenkilometern fahre ich am Westhafen vorbei und bin bereits einige Minuten später am Anlieger vor der Plötzensee – Schleuse.

Beim Warten auf das Öffnen der Schleuse kommen mir alte Erinnerungen hoch. Hier bin ich als Kind herumgestromert und habe oft an der Uferböschung gehockt und die roten Feuerkäfer beobachtet, die an sonnigen Tagen, so wie heute, zu Hunderten an von der Sonne erwärmten Stellen zu finden waren. Wie einige der Käfer mit dem Hinterteil verbunden waren und jeder der beiden in eine anderen Richtung laufen wollte.
In dem Alter wusste ich zwar wie man Mutter, Vater und Kind spielt, aber was die Käfer damit bezweckten, da war ich mir nicht so sicher.

Das Boot neben mir legt ab und ich werde aus meinen Gedanken geholt. Nun steht das Ampelsignal auf grün und das Schleusentor ist zum Einfahren geöffnet.

Als ich Eiswerder, Tegelort und Konradshöhe passiert habe, öffnet sich hinter der Landzunge am Heiligensee der Nieder-Neuendorfer See. Nach einer kurzen Pause biege ich an seinem nordwestlichen Ende in den Oder – Havel – Kanal ein und bereits um 17.30 erreiche ich den Lehnitzsee. An der Steganlage der Familie Dietrich mache ich fest und Frau Dietrich hilft mir dabei.

Wie verabredet ist kurze Zeit später Doris am Steg. Wir fahren mit dem Auto nach Sommerfeld. Für mich wird es für viele Wochen die letzte Übernachtung an Land sein.

03. Tag: Sonntag, 07.07.2002

Um 5.30 Uhr ist die Sonne bereits aufgegangen und über dem See liegt eine hellgraue Nebelschicht. Sie lässt die Konturen der Umgebung verwischen. Das Gras ist mit Tau überzogen und glitzert im durchbrechenden Sonnenlicht. Die Stille ist wohltuend.

An diesen Morgen hält aber mein Glück nicht lange an. Als ich unter der Dusche den Warmwasserhahn aufdrehe, ist das Duschwasser kalt. Aber noch ärgerlicher ist Dori’s Erkenntnis. Sie stellt fest, dass unsere Propanflasche leer ist. Statt heißen Kaffee gibt es heute morgen Eistee aus der Tüte. Wie heißt es so schön – an alles habe ich gedacht, nur nicht an die wichtigen Dinge.

Um 8.20 Uhr verlassen wir die Marina Oderberg. Wir haben die Sonne von vorn und es ist angenehm warm an Bord. Bis zur Schleuse Hohensaaten brauchen wir nur einige Minuten. Zusammen mit drei weiteren Sportbooten werden wir auch bald geschleust. In der großen Schleusenkammer sehen die Boote irgendwie verloren aus.

Wir fahren noch nicht lange auf der Oder, als das Segelboot vor uns auf eine Sandbank aufläuft. Bei der Strömung hat der Skipper keine Chance mit eigener Kraft von der Sandbank herunter zu kommen. Ein anderes Segelboot versucht zu helfen aber erst mit zwei Booten können wir es wieder ins Fahrwasser ziehen. Bei der Strömung war das keine leichte Aufgabe.

Um die Mittagszeit erreichen wir Widuchowa. Hier befindet sich der deutsche – und auf der anderen Seite der Oder der polnische Zoll. Bei der Abfertigung auf der polnischen Seite stelle ich dem Zöllner eine Büchse Bier auf den Tisch. Er tut so, als wenn er das nicht bemerkt hätte, und muss deshalb auch nicht danke sagen. Fünf Minuten später sind wir schon wieder auf dem Oderstrom unterwegs.

Hinter Stettin verbreitert sich die Oder zur – Odrazanska – und der Wellengang nimmt zu. Hier spüren wir schon den Wind, der die Nähe zum Haff anzeigt. Die klare Luft und die Sonnenstrahlen, die sich in den Wellen brechen, lassen mein Herz höher schlagen.

Um 18.00 Uhr haben wir unser Tagesziel erreicht und laufen in den Hafen von Ziegenort ein. Obwohl wir mit der Strömung gefahren sind, haben wir doch fast l0 Stunden gebraucht.

12. Tag: Dienstag, 16.07.2002

Wir haben umdisponiert, denn die Clubfreunde vom Deutschen Unterwasser Club würden wir wahrscheinlich nur noch auf ihrem Rückweg antreffen. Deshalb haben wir uns für den 27 Seemeilen entfernten kleinen Hafen Gager entschlossen. Gager gehört zum Mönchgut und liegt im Süden von Rügen auf einer Halbinsel.

Die Voraussage vom Wetterbericht: Windstärke 4 aus Nordost, ab 13.00 Uhr auffrischender Wind 5-6, Tagestemperatur 27 Grad Celsius.

Auf dem Greifswalder Bodden haben wir zeitweise die Wellen unangenehm von der Seite. Ein paar Mal werden wir kräftig durchgeschüttelt, aber bereits um 11.00 Uhr haben wir Rügen erreicht und laufen nun im Schutz der Insel in das Hagensche Wiek ein. Eine leicht hüglige Landschaft ist auf beiden Seiten zu sehen. Felder, Wälder und Wiesen wechseln sich ab. Das frühe Tageslicht lässt die Farben der Landschaft und die Konturen besonders kräftig hervortreten.

Durch den starken Wind habe ich beim Festmachen doch einige Probleme. Der Anleger ist für ein l0 Meter Boot ausgelegt und die Pfähle liegen weit auseinander. Aber wie so oft, sind einen Augenblick später helfende Hände zur Stelle und mein Problem ist damit gelöst.

Vom Boot aus blicken wir quer über den Wiek und können in weiter Ferne das Jagdschloss Granitz sehen. Die Hafenanlage und der winzige Ort gefallen uns sehr gut. Drei Restaurants und eine Kurverwaltung sind die zu erwähnenden Einrichtungen. In der Kurverwaltung werden die Hafengebühren bezahlt und hier mieten wir uns auch die Fahrräder.

Mit den Fahrrädern fahren wir noch am Nachmittag nach Groß Zicker. Am letzen Haus des Ortes lassen wir die Fahrräder zurück und gehen zu Fuß weiter. Aus der Nähe betrachtet, haben die bis zu 66 Meter hohen Hügel beträchtliche Ausmaße.

Im Windschatten der Bäume legen wir eine Pause ein und genießen die herrliche Landschaft und den weiten Blick auf das Meer. Weiter führt uns der Weg durch naturbelassene Wiesen, die so bunt sind, wie ein persischer Teppich.

Am Ende der großen Landzunge fällt die Küste steil ab und macht den Blick frei auf den Greifswalder Bodden. Die Insel Vilm und die Insel Ruden kommen in unser Blickfeld. Irgendwie erinnert mich diese herrliche Landschaft an Cornwall.

Für 6,50 Euro pro Tag einschließlich Duschen und Stromanschluss ist der Hafen und seine Umgebung sehr zu empfehlen.

32. Tag: Montag, 05.08.2002

Doris fährt heute nach Hause. Die dadurch entstandene Aufbruchstimmung veranlasst auch mich, den Standort zu wechseln. In aller Ruhe mache ich das Boot klar zum Ablegen. Mich treibt niemand und mein Tagesziel Barhöft ist nur l2 Seemeilen entfernt. Der Hafen wird mein Ausgangspunkt sein, um bei günstigem Wetter Hiddensee und Kap Arkona zu umfahren.

Um 12.45 Uhr bin ich so weit und mache die Leinen los. Bei Nordwestwind 4-5 brauche ich 2 ‘/, Stunden für die Darss – Boddengewässer. In der schmalen Durchfährt am Bock bereite ich mich auf das bevorstehende Anlegemanöver vor. Barhöft liegt gleich um die Ecke und für mich ist das Anlegen einfacher, wenn die Fender schon angebracht sind und die Tampen zum Festmachen bereitliegen.

Ich beeile mich, denn der Wind drückt kräftig, zumal das Fahrwasser nicht sehr breit ist. Als ich mit den Vorbereitungen fertig bin und wieder den Gang einlege, passiert nichts. Der Motor nimmt Gas an, aber das Boot hat keinen Vortrieb. Mein erster Gedanke – ,,ich habe Seegras um den Propeller”. Schleppanker legen! Aber der wird bei dem Wind nicht viel nutzen. Ich schaue zum nahen Ufer und kann mir vorstellen was in Kürze geschehen wird.

In aller Eile nehme ich die Motorabdeckung ab und mir fällt ein Stein vom Herzen. Nur ein Splint am Getriebeschalthebel hat sich gelöst und ist wohl in die Bilge gefallen. Schnell kann ich den Splint ersetzen und das Boot wieder auf Kurs bringen. Ich hatte Glück, dass ich den Fehler so rasch gefunden habe.

Beim Festmachen helfen mir zwei Skipper. Denn bei dem Wind und mit nur 80 cm Tiefgang treibe ich schnell ab, so dass ich dankbar für die helfenden Hände bin.

Barhöft gehört zum Festland und liegt zur nächsten Ortschaft ein paar Kilometer entfernt. Ich kenne die Umgebung vom vorigen Jahr und bleibe deshalb am Hafen. Vom Hafenmeister erfahre ich, dass für heute Nacht 7-8 Nordostwind angesagt wurden. Aber auch für morgen werden 4-5 Nordostwind vorhergesagt. Ein Grund mehr für mich, etwas genauer auf die Bootsvertauung zu achten.

33. Tag: Dienstag, 06.08.2002

Die ganze Nacht hindurch hatte es geregnet. Kräftige Windböen zerrten an der Persenning und ein paar Mal prasselte der Regen so stark gegen das Boot, dass ich jeden Augenblick mit dem Verlust der Persenning rechnete.

Am Morgen hat sich der Wind gelegt und ein leichter Nieselregen macht sich breit. Ich befürchte Schlimmes, wenn das so weiter geht, muss ich vielleicht den ganzen Tag hier verbringen.

Aber um 9.45 Uhr legt der Regen eine Pause ein und diese Gelegenheit nutze ich zum Ablegen. Als ich den Hafen verlasse, liegt über Stralsund eine dunkle, bedrohlich wirkende Wolkendecke. ,,Ostwind mit Gewitterneigung”, die Ansage im Radio scheint zu stimmen.”

Meine Fahrroute westlich von Hiddensee liegt erst einmal günstig und sollte ich an der Nordküste Schwierigkeiten bekommen, kann ich zwischen Rügen und Hiddensee in dem Vitter Bodden Schutz suchen. Mein geplantes Tagesziel wird aber das 36 Seemeilen entfernte Lohme an der Ostküste von Rügen sein.

Ich suche mir die erste Bojenkennung, um die schmale Durchfahrt zwischen Bock und Geller Haken nicht zu verpassen. Auf der offenen Ostsee habe ich bald die letzte Kennung hinter mir und Hiddensee liegt nun als schmaler Streifen an meiner Steuerbordseite.

Auf der Höhe von Vitte kommt mir ein großes Schiff der Bundesmarine entgegen. Einige der Matrosen an Bord winken zu mir herüber und werden sich wohl fragen, was der hier draußen bei dem Wetter verloren hat.

Als ich den nördlichen Teil von Hiddensee erreicht habe, kann ich oberhalb der Steilküste den Leuchtturm vom Dornbusch erkennen. Hier muss ich mich entscheiden, entweder ich drehe ab in die geschützten Gewässer von Vitte oder ich bleibe auf meinem Kurs auf Kap Arkona.

Der Wellengang hat zugenommen, obwohl ich noch nicht den vollen Ostwind habe. Das ist mir bewusst, außerdem habe ich erst l4 Seemeilen hinter mir und die 22 schwierigen Seemeilen liegen noch vor mir. Aber irgendwie habe ich mich an den Seegang gewöhnt und entscheide mich zum Weiterfahren.

Über dem nördlichen Teil von Rügen steht eine graue Regenwand. Ich kann genau beobachten, wo der Regen niederschlägt. Die Steilküste scheint für den Regen eine Grenze zu sein. Denn über dem Meer kommt ab und zu die Sonne durch.

Je näher ich Kap Arkona komme, um so kräftiger werden die Wellen. Meine Geschwindigkeit liegt jetzt bei fünf Seemeilen. Im GPS habe ich den Wegepunkt 54’45,60’N 13″33,70’E eingegeben. Das ist die Kap Arkona Tonne, sie liegt sechs Seemeilen vor der Küste und ist für mich ein weiterer Bezugspunkt.

Um 14.00 Uhr hat mich doch der Regen eingeholt. Der Leuchtturm die bekannte Silhouette vom Kap Arkona liegt mir nun im Regendunst gegenüber. Jetzt haben die Wellen häufig weiße Schaumkämme und kommen genau von vorn. Die Gischt vom Bug spritzt immer häufiger über meine Persenning und an die Seitenscheiben. Bei der Berg- und Talfahrt macht das Boot nur noch 4.5 Seemeilen.

Am schlimmsten sind die Wellen, die im Wellental noch eine kleine Welle aufgebaut haben. In die kracht mein Bug mit voller Wucht. Es gibt dabei ein dumpfes Dröhnen und das Boot erzittert. Der Wind und die Strömung sind so stark, dass ich den Eindruck habe nicht vorwärts zu kommen. Ich muss aber am Kap vorbei auf die offene See, um bei der Wende einen besseren Winkel zu den Wellen zu haben.

In mir kommen Zweifel auf. Kann das mein Boot überhaupt schaffen? Außerdem mache ich mir Sorgen im Bezug auf die bevorstehende Wende. Komme ich schnell genug herum oder erwischt mich doch noch eine Welle von der Seite?

Nach 45 Minuten habe ich so viel Höhe gewonnen, dass ich meinen Kurs ändern kann. Auf einem Wellenberg drehe ich ab und bin angenehm überrascht, ohne Probleme und blitzschnell bin ich auf meinen neuen Kurs. Jetzt habe ich die Wellen halb achtem und surfe teilweise mit neun Seemeilen auf den Wellen, um einen Augenblick später auf fünf abzufallen.

Die letzten acht Seemeilen quer über den Tromper Wiek werden teilweise unangenehm. Immer wieder muss ich meinen Kurs korrigieren, denn oft neigt sich das Boot so stark und unerwartet zur Seite. dass ich mich nur mit Mühe festhalten kann.

Dem intensiven Gefühl zwischen Sicherheit und Nervenkitzel und die Kontrolle über die Situation zu haben, wie ich sie noch an der Nordküste hatte, ist eine Gleichgültigkeit gewichen und ich fühle mich einsam.

Aber als die Sonne sich wieder durch die Wolken drängt erscheint mir die See nicht mehr so bedrohlich und meine Gedanken wenden sich wieder positiven Dingen zu. Vielleicht auch deshalb, weil die Steilküste von Lohme langsam näher kommt. Jetzt zähle ich schon die l0tel Seemeilen die mich vom Hafen trennen.

Um 17.00 Uhr laufe ich ziemlich erledigt in Lohme ein. Gute sieben Stunden habe ich für die 36 Seemeilen gebraucht, plus 20 Minuten um alle Gegenstände im Boot wieder auf seinen Platz zu legen. Obwohl ich vorsorglich schon einiges auf den Boden gelegt hatte.

34. Tag: Mittwoch, 07.08.2002

Der Hafen von Lohme liegt direkt an der bewaldeten Steilküste und wird durch eine Mole zur offenen See hin geschützt. Bei Nord- oder Ostwind wird abgerissenes Seegras und Tang in den Hafen gedrückt. Im Hafenbecken sinkt das Zeug auf den Grund und fault. Die Fäulnisblasen, die an die Oberfläche aufsteigen, stinken fürchterlich. Der gesamte Hafenbereich riecht nach Schwefel. Vom Hafenmeister erfahre ich, dass die Hafenmole im nächsten Jahr für eine Million Euro abgedichtet werden soll und dann dieses Problem behoben ist.

Sollte wirklich das Geld vorhanden sein, wäre das erfreulich, denn der Hafen gefällt mir gut. Die Sanitärenanlagen sind neu und werden blitzsauber gehalten. Für acht Euro Hafengebühr bin ich hier rundum versorgt.

Über eine Holztreppe – 225 Stufen – komme ich in den unscheinbaren Ort Lohme. Von hier aus sind es nur vier Kilometer bis zu den Kreidefelsen am Königsstuhl. Der Weg führt an der Steilküste entlang durch ein geschlossenes Waldgebiet. Der gesamte Wald wird im wesentlichen durch Rotbuchen gebildet. Das 1500 Hektar große Gebiet gehört zum Nationalpark Jasmund und zieht sich von Lohme bis nach Saßnitz.

Der Weg ist sehr abwechslungsreich. Von den aufragenden Kliffs hat man einen weiten Blick auf das Meer. Oder man sieht unten in den Kerbtälern nur den Strand, weil der Blick durch die Buchen verstellt ist. Zuweilen kann ich am Strand Geschiebebrocken und den schwarzen Feuerstein erkennen den das Meer aus den Kreideablagerungen herausgewaschen hat.

Am Königsstuhl führt eine Treppe zum Strand hinunter. Und obwohl auf einem Hinweisschild aufmerksam gemacht wird, dass 420 Stufen ein beschwerlicher Weg sein können, ist das für viele Touristen absolut kein Grund, auf den Abstieg zu verzichten, sie lassen auch nichts aus. Mit Hund und Kegel, die natürlich getragen werden müssen, geht es die Stufen hinunter. Erst beim Aufstieg merken sie, was sie sich zu gemutet haben. Am oberen Ende der Treppe stehen dann einige kurz vor dem Herzinfarkt.

Am späten Nachmittag treffe ich auf dem Rückweg keinen Menschen im Wald. Vereinzelt fallen Sonnenstrahlen durch die Baumkronen. Im halbdunklen des Waldes bilden sie Lichtsäulen und lassen ihn märchenhaft erscheinen.

Etwas müde, aber zufrieden über den schönen Tag und meinen Ausflug, muss ich nur noch die 225 Stufen zum Hafen hinunter. Zusammengezählt bin ich heute 1250 Stufen auf- und abgestiegen. Die acht Kilometer Fußweg kommen noch hinzu.

Am Abend sitze ich gemütlich an Bord und kann beobachten, wie über Kap Arkona die Sonne untergeht.

36. Tag: Freitag, 09.08.2002

Heute bin ich fünf Wochen unterwegs und sollte so langsam an meine Rückfahrt denken. Aber im Grunde genommen bin ich ja schon seit Kap Arkona auf dem Rückweg. Wenn auch nicht direkt. denn der nächste Hafen wird das 23 Seemeilen entfernte Thiessow sein. Es ist der südöstlichste Teil von Rügen, also nicht weit von Gager entfernt, wo meine Fahrt um Rügen begann.

Sonniges Wetter mit Gewitterneigung und Windstärke vier aus Südost wurde heute Morgen im Radio angesagt. Deshalb lege ich an Bord vorsichtshalber alle Gegenstände auf den Boden, denn die würden später sowieso unten liegen.

Nach einer Stunde Fahrt über den Prora Wiek bin ich auf der Höhe von Binz. Leider kann ich nicht viel vom Ort sehen, denn die Küste liegt in einem Dunstschleier und die Entfernung ist außerdem zu groß, um Einzelheiten zu erkennen. Als ich den südlichen Zipfel von Rügen – Endhaken – hinter mir habe, befinde ich mich wieder im Greifswalder Bodden. lm Schutz der Landzunge fahre ich jetzt auf die Ansteuerungstonne zu, die am Kleinen Zicker die Fahrwasserstraße zum Hafen Thiessow anzeigt. Die Fahrwasserstraße ist mehr eine Fahrrinne, aber sie ist gut gekennzeichnet und führt mich sicher zum Hafen.

Gute vier Stunden war ich mit dem Boot unterwegs und habe damit Rügen einschließlich Hiddensee einmal umrundet. Deshalb habe ich heute Grund zum Feiern. Am Abend sitze ich vor der Kneipe – Snack tau’n Bodden -, die unmittelbar am Wasser liegt und trinke ein großes Rostocker Alt.

Bei dem angenehmen Wetter nutzen viele Gäste die gute Aussicht in geselliger Runde. Mir gegenüber sitzt ein Pärchen Mitte 40, die sich nichts zu sage haben und sich anschweigen. Ich unterbreche die Stille mit einer Frage. Und siehe da, jetzt sind die beiden so mitteilsam, dass ich kaum noch zu Wort komme.

Sie ist eine blasse unscheinbare Frau, aber mit sehr viel Redefluss. Er dagegen ist zurückhaltender und erinnert mich mit seinem großen Gebiss an Don Camillo. Erst nachdem wir über das Thema Fotografie sprechen, kommt sie zum Schweigen und er lebt auf. So ist er heute morgen um fünf Uhr zum Hafen gelaufen, um ein Segelboot bei aufgehender Sonne zu fotografieren. ,,Und jetzt habe ich das Bild im Kasten” erzählt er – und lacht darüber so sehr, als ob er einen guten Witz gerissen hätte. Dabei zeigt er wieder sein riesiges Nussknackergebiss und bringt mich damit auch zum Lachen.

Wir erleben zusammen einen angenehmen Abend.